Verschwörungstheorien: Früher hoch angesehen und heute belächelt
Experte Michael Butter im Interview
Michael Butter ist Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte mit dem Forschungsschwerpunkt Verschwörungstheorien. Er hat uns erzählt, wie sich Verschwörungstheorien mit der Zeit entwickelt haben.
Ihn fasziniert vor allem die Komplexität von Verschwörungstheorien und hat sich deswegen bereits in mehreren Büchern intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt.
Michael Butter über Verschwörungstheorien
Das Interview zum Nachhören
Michael Butter erklärt, dass es drei Kriterien gibt, die Verschwörungstheorien kennzeichnen:
Alles wurde geplant, das heißt, es geschieht nichts durch Zufall.
Nichts ist so, wie es scheint.
Alles ist durch eine geheim agierende Gruppe miteinander verbunden, die Prozesse kontrollieren, um Macht auszubauen.
Eine kritische Haltung ist grundsätzlich richtig
Es gibt aber einen grundlegenden Unterschied zwischen Verschwörungstheorien und kritischem Hinterfragen:
"Das Problem ist, dass Verschwörungstheorien dann in ihrer eigenen Art unkritisch werden." – Michael Butter
Außerdem gehen Verschwörungstheorien von einem unrealistischen Welt- und Menschenbild aus. Alles von vorn bis hinten durchzuplanen und zu bestimmen, ist schlicht nicht möglich, sagt Michael Butter.
Verschwörungstheorien machen die Welt bedeutsam
Sogar bedeutsamer, als sie eigentlich ist. Denn Anhänger*innen von Verschwörungstheorien gehen davon aus, dass alles einem großen Plan folgt. Um andere auch davon zu überzeugen, weisen sieauf vermeintliche Widersprüche hin, führen auf den ersten Blick schlüssige Argumente an und was besonders wichtig ist: Sie erklären Dinge, die andere nicht erklären können.
"Denn was in diesen Medien - in den offiziellen Erklärungen - nicht erklärbar ist, irgendwie übrig bleibt, das nehmen Verschwörungstheoretiker als Ausgangspunkt ihrer Erzählung." – Michael Butter
Dazu kommt dann noch (zum Beispiel in YouTube-Videos) passende Musik, Bilder und eine überzeugende Voice-over Stimme um - zugegebenermaßen auf ziemlich manipulative Weise - andere für die eigenen Ansichten zu gewinnen.
"Auf den ersten Blick wirken viele Verschwörungstheorien wahnsinnig überzeugend. Man muss dann schon weiterschauen um festzustellen, warum sie eigentlich nicht überzeugend sind und was ihnen den Anschein der Überzeugungskraft gibt." – Michael Butter
Welchen Einfluss hat das Internet?
Durch das Internet ist nicht unbedingt die Anzahl von Verschwörungstheorien gestiegen – viel mehr werden die Theorien einfach sichtbarer, sagt Michael Butter. Außerdem können sich Verschwörungstheoretiker*innen im Internet natürlich viel leichter vernetzen und gegenseitig bestärken.
Früher waren Verschwörungstheorien ziemlich angesehen
John Locke, Abraham Lincoln, Thomas Mann – die klügsten Köpfe ihrer Zeit haben an Verschwörungstheorien geglaubt.
"Man hatte halt damals ein Weltbild, was noch nicht von den Erkenntnissen der modernen Sozial- und Gesellschafts- und Geisteswissenschaften beeinflusst war. […] Das [Verschwörungstheorien] war wirklich etabliertes Wissen." – Michael Butter
Heute sieht das natürlich anders aus. Zumindest in der westlichen Welt wurden Verschwörungstheorien ab den späten 50er Jahren stigmatisiert und wurden nicht mehr ernst genommen. Im Moment ändert sich das vielleicht aber wieder, sagt Michael Butter.
"Ich würde sagen, dass was wir gerade beobachten ist, dass wir gewisse Teil-Öffentlichkeiten haben. Und in manchen Teil-Öffentlichkeiten sind Verschwörungstheorien im Grunde wieder re-legitimiert." - Michael Butter
In großen Teilen Ost- und Südeuropas wurden Verschwörungstheorien hingegen nie stigmatisiert und werden nach wie vor politisch bedient.
Zum Schluss hat Michael Butter einen wichtigen Tipp:
"Verschwörungstheoretiker sollten ernst genommen werden, weil Verschwörungstheorien auch immer eine Reaktion sind - auf real existierende Probleme – wenn auch vielleicht eine verschobene, symbolische Reaktion." - Michael Butter
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