In letzter Zeit stand das Thema feministische Außenpolitik wieder mehr in der Öffentlichkeit. Mit Kristina Lunz haben wir darüber gesprochen, wie das Konzept in der Praxis umgesetzt werden kann.
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10.03.2023
Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch
Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Kristina Lunz
Kristina Lunz ist Mitgründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), Autorin des Buches Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch – Wie globale Konflikte gelöst werden müssen und war außerdem an der Erarbeitung der Leitlinien für feministische Außenpolitik beteiligt, die Annalena Baerbock und Svenja Schulze letzte Woche vorgestellt haben. Das CFFP ist ein gemeinnütziges Unternehmen, das Kristina Lunz als eine Mischung aus Think Tank und Advocacy Organisation beschreibt. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen bringen sie feministischen Aktivismus in Form von Analysen, Forderungen und Ideen in die Politik.
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Kristina Lunz über feministische AußenpolitikDas komplette Interview aus egoFM Reflex
Grundsätzlich verfolgt feministische Außenpolitik einen ganzheitlichen Ansatz
Zum einen geht es natürlich darum, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern abzubauen, genauso steht aber auch die Inklusion und Emanzipation von anderen Minderheiten im Fokus.Was feministische Politik genau bedeutet, erklären wir hier im egoFM Reflexikon kurz und verständlich. Außerdem haben wir im letzten Jahr mit Victoria Scheyer über feministische Friedensforschung gesprochen, den Artikel findest du hier.
Aufgrund des ganzheitlichen Ansatzes kommt immer wieder die Kritik auf, man sollte statt dem Begriff feministisch - der negativ konnotiert und auf Frauen fokussiert sei - lieber die Bezeichnung humanistisch nutzen. Das sieht Kristina Lunz allerdings anders: Feminismus ist eine Bewegung, die gegen gewaltvolle patriarchale Strukturen vorgeht und ist deshalb ihrer Meinung nach auch der passende Begriff.
"In einer idealen Welt würden wir es wahrscheinlich wirklich humanistische Außenpolitik nennen, in einer Welt, in der die Rechte aller Menschen gleichmäßig verwirklicht sind. Aber wir leben in einer Welt, in der weltweit die Rechte mancher - vor allem weißer Männer aus dem globalen Norden - viel mehr verwirklicht sind, als die Rechte von Frauen. Also weltweit genießen Frauen nur dreiviertel der Rechte, die Männer genießen. Und um diese Lücke aufzuzeigen - [aufzuzeigen] dass es noch diese klaffende Lücke gibt - verwendet man das Wort, das genau das am besten beschreibt und das ist feministisch." - Kristina Lunz
Mehr Gleichberechtigung für nachhaltigen Frieden
Ob ein Land gewaltbereit ist - innerhalb der eigenen Staatsgrenzen oder auch gegenüber anderen Ländern - hängt maßgeblich davon ab, wie hoch das Niveau an Gleichberechtigung ist, das zeigen Forschungen. Deswegen sagt Kristina Lunz auch ganz deutlich:"Wenn wir weltweit es nicht schaffen - innerhalb von Staaten, zwischen Staaten, überall - patriarchale Strukturen, Unterdrückung, ein Mangel an Gleichberechtigung abzubauen, dann wird der Traum von nachhaltigem Frieden weltweit immer nur ein Traum bleiben." - Kristina Lunz
Um nachhaltigen Frieden zu gewährleisten, ist es also essentiell, patriarchale Strukturen abzubauen und Macht umzuverteilen, erklärt sie weiter.
Außerdem steht es in einer gerechten Gesellschaft allen Bevölkerungsgruppen (je nach Anteil) zu, politische Entscheidungen mitzutreffen. Demnach müssten also ungefähr 51 Prozent aller Macht- und Entscheidungspositionen von Frauen besetzt sein, denn diese machen rund die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Aber: Nur weil eine Frau an der Spitze ist, heißt das nicht zwangsläufig auch, dass sie feministische Politik macht. Und umgekehrt können natürlich auch männliche Politiker feministisch handeln. Fakt ist aber, die Wahrscheinlichkeit, feministische Politik zu machen ist bei Frauen höher. Denn die Personengruppen, die am stärksten von einer Art der Diskriminierung betroffen sind, setzen sich in der Regel auch am stärksten dafür ein, diesen Zustand zu ändern, erklärt Kristina Lunz.
"Und daher erstmal wichtig: [die] Hälfte der Macht für Frauen. Und dann [heißt das] - hoffentlich - dass ein Mehr an Frauen auch ein Mehr an feministischer Politik bedeutet." - Kristina Lunz
Vor allem auch im Umgang mit Staaten wie Afghanistan oder Iran gibt es viele Punkte, die im Sinne einer feministischen Außenpolitik hätten anders gemacht und in Zukunft verändert werden können. Seit dem Ausruf der islamischen Republik 1979 werden Frauen im Iran massiv unterdrückt. Kristina Lunz erzählt, dass deutsche Außenpolitiker*innen sich in dieser Zeit allerdings kaum für die iranischen Frauen eingesetzt haben - stattdessen wurden wirtschaftliche Beziehungen gestärkt und deutsche Regierungsvertreter*innen haben sogar zum Bestehen der islamischen Republik an Jahrestagen gratuliert.
"Das würde eine feministische Außenpolitik nie machen - einem Unterdrückerstaat zum Bestehen gratulieren, wenn alle Frauen derart massiv unter der Gewalt vor Ort leiden." - Kristina Lunz
Es ist allerdings ein Wandel zu beobachten: Die Resolution im UN-Menschenrechtsrat, die eine Dokumentation und das zur Rechenschaft ziehen des iranischen Regimes aufgrund der Gewalt gegen die Bevölkerung vorsieht, war ein sehr wichtiger Schritt für die Zukunft. Kristina Lunz führt allerdings auch aus, dass es zudem nötig ist, das iranische Regime weiterhin diplomatisch in die Schranken zu weisen, den iranischen Demonstrant*innen eine Stimme zu geben und das Visasystem anzupassen, um es Menschen zu erleichtern, das Land zu verlassen. Außerdem ist es weiterhin wichtig, die Proteste im Iran nicht aus dem Blick zu verlieren, das sagt auch Anahita Azizi der Organisation Frauen Leben Freiheit Rhein-Neckar:
"Wir empfinden die Proteste im Iran als besonders weiblich, überall im Land heißt es 'Frauen, Leben, Freiheit'. Die Proteste sind oft angeführt und angezettelt von Frauen, Frauen haben in ihnen eine besondere Rolle und sind leider auch in besonderer Gefahr. Trotzdem verlässt sie der Mut nicht in dieser historischen Revolution - auch, weil wir hinsehen." - Anahita Azizi
Auch im Umgang mit den Taliban braucht es grundlegende Veränderungen. Erst vor kurzem hat das CFFP gemeinsam mit führenden afghanischen Frauenrechtsverteidigerinnen ein Forderungspapier veröffentlicht - demnach sollen Frauenrechte zum Beispiel nicht mehr Teil der Verhandlungsmasse sein.
Grenzen und Herausforderungen der feministischen Außenpolitik
Natürlich kann ein Wandel hin zu feministischer(er) Außenpolitik nicht reibungslos stattfinden, macht Kristina Lunz deutlich:"Also Grenzen und Herausforderungen gibt es ganz viele. Und das ist immer so, wenn wir irgendwie ein altes System haben, das über Jahrhunderte und noch länger aufgebaut wurde, und bestimmte Regeln [haben], und dann kommt eine neue Vision und ein neuer Ansatz rein, dann gibt es ständig irgendwo Clashes, weil das Alte mit dem Neuen zusammenclasht und es entsteht Reibung. Aber das muss es auch geben, Reibung muss es immer geben, wenn wir gesellschaftlichen Wandel wollen." - Kristina Lunz
Ein zentraler Punkt der feministischen Außenpolitik sind beispielsweise Demilitarisierung und Abrüstung.
Kristina Lunz sagt ganz klar, dass Waffen immer ein großes Gewaltpotential in sich tragen und auf jeden Fall abgerüstet werden muss, um patriarchale Strukturen abzubauen."Wir leben in einem hypermilitarisierten Zustand. Seit immer wird jedes Jahr ein zig-, zig-, zigfaches an Geldern für Verteidigung und Aufrüstung ausgegeben, im Vergleich zu Friedensbemühungen und menschlicher Sicherheit. Bei solchen politischen Entscheidungen braucht man sich nicht wundern, dass Konflikte entstehen, dass Gewaltpotential - und Waffen birgen Gewaltpotential - dann auch immer übersetzt wird in Gewalt die ausbricht. " - Kristina Lunz
Es ist aber auch klar, dass Demilitarisierung nicht von heute auf Morgen umgesetzt werden kann.
Feministische Außenpolitik unterscheidet deswegen in kurz-, mittel- und langfristig
Kurzfristig ist es klar, dass sich angegriffene Personen in diesem hypermilitarisierten Zustand verteidigen können müssen."Menschen, die von einem Aggressor angegriffen werden, müssen unterstützt werden, müssen verteidigt werden - das ist feministisch. Also ob eine Frau, die nachts überfallen wird [...], oder ein Volk, das von einem Massenmörder angegriffen wird, [beide müssen] unterstützt werden." - Kristina Lunz
Mittel- und langfristig braucht es aber Strategien, damit Gewaltpotentiale minimiert werden und beispielsweise Massenmörder eben nicht mehr im Besitz von Nuklearwaffen sind, erklärt Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy abschließend.
Credits: Stephan Pramme
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